Goodbye Beamten­status

Ich fahre durch den strömenden Regen mit dem Fahrrad nach Hause. Ein reinigendes Sommergewitter. Auf meinem Balkon angekommen, kann ich mir die Tränen nicht verkneifen. Ich bin gerührt von den lieben Worten, die ein Kollege für mich gefunden hat. Ich bin bewegt von all den Eindrücken und Gesprächen der letzten Zeit und ich bin vor allem glücklich. Glücklich und traurig. Heute vor 3 Jahren wurde ich in der letzten Konferenz des Schuljahres von meiner Schule verabschiedet.

Die Geschichte dazu beginnt natürlich viel früher: Es ist 2017. Ich wechsle die Klasse und laufe über den Schulflur. Alles ist gut (würde man sagen). Es gab keinen Konflikt, mein Unterricht verläuft normal, die Schüler:innen sind nett und doch ist da dieses Gefühl. Ich realisiere: ich bin nicht glücklich. Der coolste Job der Welt, fühlt sich plötzlich leer an.

Meine erste Reaktion: Verdrängung.

Es fühlt sich schmerzhaft an, zu spüren, dass plötzlich etwas anders ist, ohne, dass ich das wollte.

Gleichzeitig ist dieser Tag der Startschuss für meine ganz persönliche Reise der Weiterentwicklung. Ich mache mich auf die Suche. Was macht mich denn unglücklich? Oder besser gesagt nicht glücklich genug? Im Außen hat sich nichts verändert. Aber in mir ist diese Frage, die nicht mehr gehen will.

Ich fange an zu graben - in meiner Geschichte und allem, was mein Leben gerade ausmacht. Ich kann es nicht so richtig verstehen, aber nach und nach eröffnen sich kleine Puzzleteile, die angeschaut werden wollen. Ein Vorgespräch für ein Coaching eröffnet mir einen völlig neuen Blickwinkel auf meine Situation. Ich realisiere: es geht um einen Wertekonflikt, den ich in mir austrage. Plötzlich kann ich greifen, was vorher nur ein Gefühl war.

Immer öfter spreche ich es aus, was vorher undenkbar war. Erst zwischen zwei Gläsern Wein “ach weißt du... irgendwie ist es momentan für mich anders. Ich fühls nicht mehr so”. Später dann ganz offen und ehrlich “Ich weiß nicht, ob es noch das richtige für mich ist”.

Beamtenstatus kündigen? NEIN.

In großen Lettern, wie eine Leuchtreklame sehe ich das Nein vor meinem inneren Auge. In mir zieht sich alles zusammen. “Auf gar keinen Fall” denke ich.

Das Nein bleibt sehr lange und hilft mir, neue Wege auszuloten. Ich bin trotz meiner Unsicherheit in der glücklichen Situation, mir das Studium zur Psychologischen Beraterin finanziell und auch zeitlich leisten zu können. Ich beginne noch tiefer zu graben, viel Neues zu lernen und erkenne so viele wertvolle Zusammenhänge. In der Schule werde ich Ausbildungslehrerin für die Studierenden im Schulprakitkum und privat arbeite ich an meinen Glaubenssätzen, mal allein und mal mit Unterstützung.

Dezember 2021: Ich buche ein Coaching für ein privates Anliegen. Dieser Kontakt wird mich glücklicherweise noch einige Jahre begleiten, aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich arbeite an meinen erlernten Mustern und meinem Mut. Ich lerne, mir Stück für Stück wieder mehr zu vertrauen. Das leuchtende Nein begleitet mich noch immer. Wie soll es denn anders gehen, ohne die “warme, aber enge Jacke des Staates”? (Zitat meiner Ausbilderin in Beamtenrecht)

Plötzlich gibt es eine neue Idee in meinem Leben: ein Umzug in die Berge. Hallo Versetzungsverfahren. Long story short - ich putze 3 Jahre Klinken, rüttle an allen Türen und Toren, schreibe Bewerbungen, werde zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und weine viele Tränen.

Obwohl ich schließlich alles versucht habe, fühlte ich vor allem eines: Ohnmacht. Als Beamtin darf der Dienstherr über deinen Einsatzort entscheiden. Und da sind meine persönlichen Wünsche in einem Ranking von pflegebedürftigen Angehörigen bis hin zu Familienzusammenführungen leider sehr unwichtig.

Eine Stimme flüstert: “Wenn eine Tür nicht aufgeht, ist es vielleicht nicht deine.”

Ihr erinnert euch an den Wertekonflikt? Hier ging es nun plötzlich nach all diesen Versuchen und ohne Aussicht auf Verbesserung um meine Autonomie.

Wir haben März 2022, ich liege fiebrig mit Corona mehrere Tage im Bett und bin krank. Als es mir besser geht, lässt mich der Gedanke nicht los, dass ich, mittlerweile die inoffiziellen Wege und Termine kennend, etwas von meiner Bewerbung für die Versetzung hätte hören müssen. Nach zwei E-Mails und einem Anruf ist es klar: Ich werde die Versetzung auch im dritten Anlauf nicht bekommen. Und viel wichtiger: Ich realisiere, dass ich das auch nicht mehr will.

Ich habe mich so sehr nach diesem Verfahren ausgerichtet, alles, was möglich war, getan und es funktioniert nicht.

In diesem Moment weiß ich, dass ich nächstes Jahr nicht mehr an meiner Schule sein werde. Ich knipse die Leuchtreklame mit dem großen Nein aus und beschließe, zu kündigen. Ich bekomme weiche Knie, als mir klar wird, dass sich dieser Gedanke nicht mehr rückgängig machen lässt. Aber ich entscheide mich, die Verantwortung dafür, wie ich mein Leben gestalten will, zu übernehmen - mit allen Konsequenzen.

Ich verlasse also meine Schule zum Ende des Schuljahres und erlebe diese Monate sehr bewusst. Viele letzte Male, viele viele Gespräche und nicht einmal stelle ich die Entscheidung infrage. Bis heute nicht.

Das heißt nicht, dass ich keine Ängste hatte und auch nicht, dass das Verantwortung übernehmen mich nicht immer wieder fordert. Aber für mich selbst eingestanden zu sein, bleibt für mich bis heute unbezahlbar.

Wenn auch du dich in Teilen dieser Geschichte wiedererkennst oder dich dafür interessierst, wie es weiterging, schreib mir gerne eine Nachricht an post@lucieheim.de.

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